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Paul Jaccard (* 18. November 1868 in Sainte-Croix VD; † 5. Mai 1944 in Zürich) war ein Schweizer Gymnasiallehrer, Botaniker und Pflanzenphysiologe.[1]

Paul Jaccard (1933)
Paul Jaccard (1933)

Leben



Herkunft, Ausbildung und Promotion


Jaccard wurde als Sohn von Louis Samuel und Rose Elise Jaccard geboren.[1] Mit 14 Jahren verlor er seine Eltern und wurde von einem Onkel erzogen, der sich um seine Ausbildung kümmerte.[2] Jaccard besuchte das College in Sainte-Croix. Während seiner Schulzeit übte sein Naturgeschichtslehrer und Geologe Henri Golliez großen Einfluss auf ihn aus. Er legte bereits damals eine Fossiliensammlung an. Auf einer Schulreise 1883 zur Landesausstellung in Zürich begeisterte er sich für die geologische Sammlung des Eidgenössischen Polytechnikums Zürich. Er hätte gerne Naturwissenschaften studiert, hatte aber kein Geld. Von 1884 bis 1887 erlernte er den Lehrerberuf am Lehrerseminar Lausanne und wurde Primarlehrer in Chexbres.[2]

Während seiner Ausbildung lernte Jaccard die Geologen Maurice Lugeon und Rittener und den Botaniker Louis Favrat (1827–1893) kennen. Zusammen mit Favrat unternahm er eine botanische Exkursion in die Alpen.[2] Schließlich gelang es ihm, eine Stelle als Préparateur am Botanischen Museums des Kantons Waadt in Lausanne zu bekommen. Nun konnte er neben seiner hauptberuflichen Beschäftigung am Museum sein Bakkalaureat ablegen. Dabei überanstrengte er sich und wurde krank. Nachdem er sich wieder erholt hatte, begann er 1889 das Studium an der Universität Lausanne. Schon zwei Jahre später erwarb er das Lizenziat für Naturwissenschaften. Nach dem Examen ging er an die ETH Zürich studierte bei Arnold Lang und Arnold Dodel-Port und promovierte 1893 über die Embryologie der Ephedra helvetica.[2]


Beruf


Nach Beendigung seines Studiums und Promotion studierte Jaccard ein weiteres Semester in Paris bei Gaston Bonnier. 1894 habilitierte er sich in Lausanne über pflanzliche Embryologie und Phytopaläontologie. Jaccard war daraufhin Naturgeschichtslehrer an den Mittelschulen in Lausanne. Im Rahmen dieser Tätigkeit verfasste er einen Leitfaden der Naturwissenschaften für die waadtländischen Volksschulen und ein «Manuel de Botanique» für Mittelschulen. In den Jahren 1896 und 1897 reiste er zu einem kurzen Studienaufenthalt zu Karl von Goebel nach München. Außerdem unternahm er zusammen mit Émile Burnat eine Studienreise nach Schweden, Finnland, Russland, Kaukasien und Turkestan.[2] 1903 wurde Jaccard zum Professor für allgemeine Botanik und Pflanzenphysiologie am Eidgenössischen Polytechnikum Zürich berufen. Er war Nachfolger von Carl Eduard Cramer. Seine Konkurrenten waren Carl Correns und Hans Conrad Schellenberg.[2]

In Zürich beschäftigte sich Jaccard hauptsächlich mit Forstwirtschaft. Er gründete eine Untersuchungsstelle für mikroskopische Holzbeurteilung, legte eine Sammlung von Holzmustern an und publizierte zu anatomischen und physiologischen Fragen des Wachstums von Bäumen.[1] Von der Stiftung Schnyder von Wartensee erhielt er einen Preis für seine Arbeiten zum Dickenwachstum der Bäume. Während der Semesterferien unternahm er botanische Forschungsreisen nach Ägypten, Algerien, Marokko, England, USA, Schweden und Turkestan.[2][1] 1938 ging Jaccard in den Ruhestand.[2]


Forschungsergebnisse


Jaccard versuchte aus den Mengen an Daten und Beobachtungen, die er gesammelt hatte, Gesetze über das Wachstum und die Vielfalt der Pflanzenarten in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren, wie Standort und Klima abzuleiten. Er definierte verschiedene Koeffizienten und formulierte die beobachteten Zusammenhänge als Gesetze. Diese Gesetze und Koeffizienten wurden von späteren Botanikern und auch Mathematikern immer wieder kontrovers diskutiert, teils bestätigt, teils widerlegt.


Mengenähnlichkeit

Jaccard definierte ein Maß für die Ähnlichkeit zweier Mengen. Dieses Ähnlichkeitsmaß bewegt sich zwischen 0, das ist, wenn die Mengen keine gemeinsamen Elemente haben, und 1, das ist, wenn die Mengen identisch sind. Als mathematische Formel:

.

Dieser Jaccard-Koeffizient konnte sich in der Mathematik etablieren und wird als Ähnlichkeitsmaß für Mengen, Vektoren und ganz allgemein für Objekte genutzt.[3][4] Speziell wird der Jaccard-Koeffizient für automatische Texterkennung und Interpretation eingesetzt.[5]

Jaccard selbst entwickelte diesen «Jaccard-Koeffizienten» in seiner 1902 erschienenen Schrift Lois de distribution florale dans la zone alpine auf Seite 72. Er nannte ihn «coefficient de communauté florale» (floristischer Gemeinschaftskoeffizient[6]):[7]

« La comparaison de deux associations déterminées par leur composition florale nous conduit à établir leur coefficient de communauté florale. Pour l'obtenir on procède de la façon suivante:

  • 1. On commence par établir le nombre des espèces communes aux deux associations comparées,
  • 2. on additionne le nombre des espèces de la première association avec le nombre des espèces de la seconde,
  • 3. on soustrait de la somme obtenue le nombre des espèces communes aux deux associations et on obtient ainsi le nombre total des espèces existant sur les deux associations.

Pour obtenir le coefficient de communauté, il ne reste plus qu'a évaluer en % le rapport du nombre des espèces communes au nombre total des espèces.

Exemple : Deux prairies A et B possèdent, la première, 100 espèces, la seconde, 120 espèces; 60 espèces leur sont communes; elles possèdent ensemble 100 + 120 - 60 = 160 espèces distinctes: leur coefficient de communauté sera donc de

 »

„Der Vergleich zweier Gemeinschaften, die durch ihre florale Zusammensetzung bestimmt sind, führt uns dazu, ihren floralen Gemeinschaftskoeffizienten zu bestimmen. Um ihn zu erhalten, geht man auf folgende Weise vor:

  • 1. Man bestimmt die Anzahl der Arten in beiden Gemeinschaften,
  • 2. man addiert die Anzahl der Arten der ersten Gemeinschaft zur Anzahl der Arten der zweiten Gemeinschaft,
  • 3. man substrahiert von dieser Summe die Anzahl der gemeinsamen Arten der beiden Gemeinschaften und man erhält so die Gesamtzahl der in beiden Gemeinschaften existierenden Arten.

Um den Koeffizienten der Gemeinschaft zu erhalten, berechnet man in % das Verhältnis der Anzahl der gemeinsamen Arten zur Gesamtzahl der Arten.

Beispiel: Zwei Wiesen A und B, die erste hat 100 Arten, die zweite 120 Arten; 60 Arten sind ihnen gemeinsam; sie besitzen zusammen 100 + 120 − 60 = 160 verschiedene Arten: ihr Gemeinschaftskoeffizient ist dann

Paul Jaccard: Lois de distribution florale dans la zone alpine, Bulletin de la Société Vaudoise des Sciences Naturelles, Band 38 (1902), S. 72, doi:10.5169/seals-266762#110 Abgerufen am 23. November 2018.

Generischer Koeffizient

Jaccard definierte den Generischen Koeffizienten als allgemeines Maß für die Artenvielfalt in einem Gebiet: Der Generische Koeffizient eines Gebietes ist die Anzahl der in diesem Gebiet vorkommenden Gattungen geteilt durch die Anzahl der in diesem Gebiet vorkommenden Arten.

.

Ist der Generische Koeffizient klein, dann ist die ökologische Vielfalt des Gebietes groß, d. h., es besteht eine Vielfalt an verschiedenen Arten. Ist umgekehrt der Generische Koeffizient groß, dann ist die Artenvielfalt gering. Man kann mathematisch formuliert auch sagen: Der Generische Koeffizient ist umgekehrt proportional zur Artenvielfalt.[8][9]

In der Literatur wird auch oft das Arten-zu-Gattungen-Verhältnis (species-to-genus ratio, S/G ratio) benutzt, das dem Kehrwert des Generischen Koeffizienten entspricht:

.

Ist das Arten-zu-Gattungen-Verhältnis groß, dann ist die ökologische Vielfalt des Gebietes groß, d. h., es besteht eine Vielfalt an verschiedenen Arten. Ist umgekehrt das Arten-zu-Gattungen-Verhältnis klein, dann ist die Artenvielfalt gering. Man kann mathematisch formuliert auch sagen: Das Arten-zu-Gattungen-Verhältnis ist proportional zur Artenvielfalt.


Dispute

Um den Generischen Koeffizienten gab es zu Jaccards Zeiten und auch später immer wieder Dispute, darunter mit dem Finnischen Botaniker Alvar Palmgren[10] und dem Schweizer Botaniker Arthur Maillefer. So behauptete Maillefer, dass der Generische Koeffizient keineswegs auf Umweltfaktoren beruht, sondern durch zufällige Effekte entsteht (Nullmodell). Er versuchte dies selbst und mit Hilfe des ungarischen Mathematikers George Pólya nachzuweisen.[11][12] Jaccard wiederum führte verschiedene Beispiele an, in denen die statistischen Ergebnisse des Nullmodells nicht mit dem Generischen Koeffizienten übereinstimmten.[13][14]


Botanische Gesetze

Jaccard postulierte mehrere Gesetze mit denen er versuchte, den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Artenvielfalt auszudrücken:[15][16][17][18]


Familie


1899 heiratete Jaccard Adèle Juliette Séchaud, Tochter des Charles Henri.[1]


Veröffentlichungen (Auswahl)




Commons: Paul Jaccard – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise


  1. Martin Kurz: Paul Jaccard. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 1. September 2005, abgerufen am 21. November 2018.
  2. Nachruf bei Verhandlungen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft. Band 124 (1944). Abgerufen am 21. November 2018.
  3. Ähnlichkeitsmaße für Vektoren bei Fraunhofer. Abgerufen am 23. November 2018.
  4. Jaccard-Koeffizient in Hans Friedrich Eckey, Reinhold Kosfeld, Martina Rengers: Multivariate Statistik, Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden, 2002, ISBN 3-409-11969-8, S. 219. Abgerufen am 23. November 2018.
  5. Jaccard-Koeffizient bei seo-suedwes. Abgerufen am 23. November 2018.
  6. Paul Jaccard: Vergleichende Untersuchungen über die Verbreitung der alpinen Flora in einigen Regionen der westlichen und östlichen Alpen. Jahresbericht der Naturforschenden Gesellschaft Graubünden, Band 45 (1901–1902), S. 129, doi:10.5169/seals-594622#169
  7. Paul Jaccard: Lois de distribution florale dans la zone alpine. Bulletin de la Société Vaudoise des Sciences Naturelles, Band 38 (1902), S. 72, doi:10.5169/seals-266762#110 Abgerufen am 23. November 2018.
  8. Paul Jaccard: Die statistisch-floristische Methode als Grundlage der Pflanzensoziologie in Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden von E. Abderhalden, S. 165–232, Berlin 1928.
  9. Paul Jaccard: Le coefficient générique et le coefficient de communauté dans la flore marocaine. Mémoires de la Société Vaudoise des Sciences Naturelles, Band 2 (1924–1928), doi:10.5169/seals-248666#405 Abgerufen am 22. November 2018.
  10. Alvar Palmgren: Der Zufall und die säkulare Landhebung als pflanzengeografische Faktoren in Societas pro Fauna er Flora Fennica, Acta Botanica Fennica, Helsingforsia, 1925, online
  11. G. Pólya: Eine Wahrscheinlichkeitsaufgabe in der Pflanzensoziologie. Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. 75 (1930), S. 211–219. online Abgerufen am 17. November 2018.
  12. Arthur Maillefer: Le coefficient générique de P. Jaccard et sa signification. in Mémoires de la Société vaudoise des sciences naturelles, Société vaudoise des sciences naturelles, 1929, Band 3, Heft 4 doi:10.5169/seals-249679
  13. Paul Jaccard: Coefficient générique réel et coefficient générique probable. Bulletin de la Société Vaudoise des Sciences Naturelles, Band 61 (1940–1941), doi:10.5169/seals-272981#124 Abgerufen am 22. November 2018.
  14. Paul Jaccard: Cas particulier concernant le coefficient générique. Bulletin de la Société Vaudoise des Sciences Naturelles, Band 60 (1937–1939), doi:10.5169/seals-272765#264 Abgerufen am 22. November 2018.
  15. Arthur Maillefer: Les lois de Paul Jaccard. Mémoires de la Société Vaudoise des Sciences Naturelles, Band 3 (1929–1930), doi:10.5169/seals-249679#124 Abgerufen am 22. November 2018.
  16. Paul Jaccard: Lois de distribution florale dans la zone alpine. Bulletin de la Société Vaudoise des Sciences Naturelles, Band 38 (1902), doi:10.5169/seals-266762#110 Abgerufen am 22. November 2018.
  17. Paul Jaccard: Influence réciproque du sol et de la végétation sur les variations de la flore. Bericht über das Geobotanische Forschungsinstitut Rübel in Zürich, Band – (1938), doi:10.5169/seals-377466#61 Abgerufen am 22. November 2018.
  18. Paul Jaccard: Les monstres dans le monde organique et les lois le la morphologie. Bulletin de la Société Vaudoise des Sciences Naturelles, Band 34 (1898), doi:10.5169/seals-265379 Abgerufen am 22. November 2018.
Personendaten
NAME Jaccard, Paul
KURZBESCHREIBUNG Schweizer Gymnasiallehrer, Botaniker und Pflanzenphysiologe
GEBURTSDATUM 18. November 1868
GEBURTSORT Sainte-Croix VD
STERBEDATUM 5. Mai 1944
STERBEORT Zürich

На других языках


- [de] Paul Jaccard

[ru] Жаккар, Поль

Поль Жакка́р (18 ноября 1868, Сент-Круа — 9 мая 1944, Цюрих) — профессор ботаники и физиологии растений в Швейцарской высшей технической школе Цюриха. Учился в Университете Лозанны и Швейцарской высшей технической школе Цюриха (защитил PhD в 1894). Продолжил учёбу в Париже с Гастоном Боннье. Разработал коэффициент сходства Жаккара (называя его coefficient de communauté), опубликовав соответствующую работу в 1901 году[3]. Также ввел в обиход использование отношения видов к генам в биогеографии (назвав его родовой коэффициент)[4]. В 1920-е годы Поль Жаккар вступил в диспут с финским ботаником и фитогеографом Альваром Палмгреном на тему интерпретации отношения видов к генам, как доказательства конкурентного вытеснения (как отстаивал Жаккар) или относящимся к случайной выборке (как отстаивал Пальмгрен)[5].



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